Variierende Pflegeverständnisse im Kontext der Zuwanderung von internationalen Pflegefachpersonen
Wenn internationale Pflegefachpersonen aus Drittstaaten in Deutschland im Pflegeberuf arbeiten wollen, müssen sie ihre erworbene Qualifikation als der deutschen Ausbildung zur Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann gleichwertig anerkennen lassen. Im Rahmen dieses Anerkennungsverfahrens werden – auf Basis eines Ausbildungsvergleiches – Fachkenntnisse und formale Anforderungen zur Ausübung des Pflegeberufs geprüft – nicht aber die tatsächlich mitgebrachten Kompetenzen und informellen Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Berufsalltag eine zentrale Rolle spielen.
Allerdings sind es genau diese informellen Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich im beruflichen Selbstverständnis niederschlagen. Sie umfassen beispielsweise den soziokulturellen Hintergrund der Pflegenden, das Berufsbild und die Rolle von Pflegefachkräften im Gesamtgefüge der gesundheitlichen Versorgung sowie die gesellschaftlichen Diskurse, Werte und Normen.
Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag zunächst relevante Unterschiede des Pflegeverständnisses im Kontext der Zuwanderung internationaler Pflegefachkräfte und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen dargestellt, die sich im stationären Pflegealltag niederschlagen. Abschließend werden im Rahmen eines Fazits Empfehlungen zur Unterstützung des Aushandlungsprozesses unterschiedlicher pflegeberuflicher Selbstverständnisse formuliert.
Das Wichtigste in Kürze
- Unterschiedliche Verständnisse von Integration können zu Herausforderungen im Integrationsprozess neuer (internationaler) Pflegefachpersonen führen.
- Auch unterschiedliche pflegeberufliche Selbst- und Fachlichkeitsverständnisse treffen in der Zusammenarbeit in internationalen Pflegeteams aufeinander.
- In der Zusammenarbeit kann es bei allen Teammitgliedern zu Enttäuschungen und Entwertungserfahrungen kommen.
- Es braucht Räume und Zeit im oder außerhalb des Arbeitsalltags, um sowohl die unterschiedlichen Pflegeverständnisse, als auch gemeinsame Werte in der Zusammenarbeit auszuhandeln.
Was hat das Pflegeverständnis mit Integration zu tun?
Wenngleich immer mehr Arbeitgeber Ressourcen für die fachliche, betriebliche und soziale Integration der internationalen Pflegefachkräfte bereitstellen, variieren Art und Umfang der Maßnahmen erheblich. Darüber hinaus herrschen in den Einrichtungen häufig unterschiedliche, zumeist einseitige, Vorstellungen von Integration vor: So gehen Teile der Mitarbeitenden und Teams – nicht selten auch die internationalen Fachkräfte selbst – davon aus, dass sich die neuen Kolleg:innen an die bestehenden Strukturen und Abläufe anpassen und „sich selbst integrieren“ müssten. Andere wiederum gehen davon aus, die neuen Kolleg:innen mit unterschiedlichen Maßnahmen und Unterstützungsangeboten „integrieren zu müssen“. So sollen Konzepte für ein migrationssensibles Onboarding oder begleitende Unterstützungsangebote im Arbeitsalltag diesen Prozess der Integration beschleunigen und die internationalen Pflegefachkräfte möglichst langfristig an das jeweilige Unternehmen binden.
Leider führt ein einseitig auf die Anpassungsleistung internationaler Pflegefachpersonen ausgerichtetes Integrationsverständnis aber dazu, dass die Pflegeteams vor Ort nur selten in einer Weise eingebunden werden, in der sie den Integrationsprozess proaktiv mitgestalten können. Zumeist müssen sie die Einarbeitung zusätzlich zum Tagesgeschäft leisten („on the job“), was häufig zu Frustration führt – sei es wegen der Mehrarbeit, aufgrund von Überforderung im Umgang mit Sprachbarrieren, oder wegen der unterschiedlichen Pflegeverständnisse, die im Arbeitsalltag aufeinandertreffen.
Beide beschriebenen Integrationsverständnisse isoliert betrachtet, führen also zu Konflikten und zu – nicht selten utopischen – Erwartungen und zu Haltungen, die den Prozess erschweren und der Wertschätzung aller Beteiligten, insbesondere aber der internationalen Fachkräfte, abträglich sind. Ein Verständnis von Integration als wechselseitigem Prozess, bei dem alle beteiligten Personen sich einbringen und mitgestalten können bzw. müssen, kann hingegen eine gegenseitige Erwartungsklärung und gemeinsame Aushandlungsprozesse fördern [1]. Hierfür ist jedoch der bewusste Einbezug aller Personen – insbesondere auch der Pflegeteams, die täglich Integrationsarbeit leisten – notwendige Voraussetzung [2].
Die Erwartungen und Vorstellungen einer Anpassung an bestehende Abläufe und Strukturen zeigen sich auch hinsichtlich des beruflichen Selbstverständnisses internationaler Pflegefachpersonen. Sie sind u.a. in einer allgemeinen Defizitorientierung begründet, welche sich auch in den gesetzlichen Bedingungen und Anforderungen im Anerkennungsverfahren zeigt. Dieses ist nämlich nicht auf die Ermittlung der tatsächlich mitgebrachten Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der internationalen Pflegefachpersonen ausgerichtet, sondern identifiziert in einem Ausbildungsvergleich „Defizite“ hinsichtlich der Ausbildungsinhalte und -stunden.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass sich das Ausblenden der mitgebrachten Kompetenzen und Berufsidentitäten internationaler Pflegefachpersonen in den Betrieben fortsetzt. So wird von diesen häufig erwartet, die berufliche Identität sowie das Aufgaben- und Tätigkeitsprofil in Deutschland qualifizierter Pflegefachpersonen, möglichst unhinterfragt, zu übernehmen und sich diesem unter- bzw. zuzuordnen [1,3]. Diese Erwartungen sind jedoch insofern utopisch, als dass in der Zusammenarbeit die unterschiedlichen Berufsverständnisse ganz automatisch aufeinandertreffen und zu Irritationen oder Konflikten führen können.
Die Ergebnisse des Forschungs- und Qualifizierungsprojektes TransCareKult zeigen, dass die in Deutschland qualifizierten oder langjährig Mitarbeitenden den international qualifizierten Pflegefachkräften – häufig pauschalisierend und zumeist begründet mit der akademischen Qualifikation – ein eher „medizinisches“ oder „medizinisch-technisches“ Pflegeverständnis zuschreiben, während sie ihr eigenes berufliches Selbstverständnis im Gegensatz dazu als praktisch, „ganzheitlich“ und bedürfnisorientiert wahrnehmen. Auch die internationalen Pflegefachpersonen stellen Differenzen hinsichtlich des beruflichen Selbstverständnisses, der Fachlichkeit und der Aufgaben, mit denen sie sich im Arbeitsalltag in Deutschland konfrontiert sehen, fest. Es kommt bei ihnen zu Irritationen, was nicht selten dazu führt, dass sie bestimmte Tätigkeiten oder Vorgehensweisen mit ihren eigenen Erfahrungen abgleichen und/oder infrage stellen.
Die aufgeworfenen Differenzen führen im Arbeitsalltag zu Konflikten, in denen es zu gegenseitigen Anzweiflungen, Konkurrenzsituationen und Abwertungen kommen kann [4]. Verschärft wird dies durch den verdichteten Arbeitsalltag, welcher dazu führt, dass die unterschiedlichen Berufsverständnisse und Vorstellungen bzw. Erwartungen hinsichtlich der Aufgaben- und Kompetenzprofile nicht diskursiv miteinander abgeglichen und ausgehandelt werden können.
Die „grundpflegerischen Tätigkeiten“ im Fokus
Viele der im Zusammenhang mit unterschiedlichen Pflege- und Fachlichkeitsverständnissen entstehenden Konflikte und Auseinandersetzungen im pflegerischen Arbeitsalltag ranken sich um die Übernahme bzw. Umsetzung sogenannter „grundpflegerischer Tätigkeiten“, wie z.B. der Körperwaschung. Die Differenzen werden hier als besonders groß und unüberbrückbar wahrgenommen, weil in vielen Ländern, aus denen die internationalen Pflegefachkräfte nach Deutschland kommen, die sog. „grundpflegerischen Tätigkeiten“ nicht im Verantwortungsbereich der Fachkräfte liegen, sondern von Pflegeassisten:innen, Pflegerhelfer:innen oder Angehörigen durchgeführt werden. Demgegenüber fällt die grundpflegerische Versorgung in Deutschland in den Verantwortungsbereich der Fachkräfte. Sie dürfen die Aufgaben an Pflegehelfer:innen delegieren, bspw. im Sinne der Funktionspflege, bleiben jedoch verantwortlich für deren adäquate Durchführung.
Betrachtet man jedoch den Zusammenhang zwischen dem beruflichen Selbstverständnis und der Übernahme grundpflegerischer Tätigkeiten, wird deutlich, dass es auch bei in Deutschland qualifizierten Pflegefachpersonen Unterschiede hinsichtlich der Bewertung grundpflegerischer Tätigkeiten gibt. Dies begründet sich u.a. in der, deutlich kritisch zu betrachtenden, Unterscheidung zwischen der sog. „Grund- und Behandlungspflege“ [5], aus der sich eine vermeintliche Höherbewertung behandlungspflegerischer Tätigkeiten ableiten lässt. Nicht selten genießen Fachrichtungen oder Versorgungsbereiche, in denen behandlungspflegerische Tätigkeiten einen großen Teil des Arbeitsalltags ausmachen, wie z.B. Funktionsabteilungen oder Intensivstationen, höhere Anerkennung. Dies schlägt sich auch im beruflichen Selbstverständnis der Fachkräfte nieder, wobei sich allerdings ein ambivalentes Bild zeichnet: Die in Deutschland qualifizierten Fachkräfte sehen grundpflegerische Tätigkeiten zum großen Teil eingebunden in eine ganzheitliche Pflegesituation (mit Zuwendung, Beratung etc.); zum Teil aber auch verrichtungsorientiert, so dass sie bspw. die Körperwaschung möglichst an andere Personen, wie z.B. an Praktikant:innen, Auszubildende oder Pflegehilfskräfte, delegieren.
Dies führt häufig zu Unmut im Pflegealltag, weil sich die internationalen Pflegefachkräfte herabgesetzt fühlen, wenn sie grundpflegerische Tätigkeiten ausüben sollen: Aufgrund ihrer Sozialisation in einem anderen Pflegeumfeld empfinden sie dies als Hilfstätigkeit, die nicht ihrer Qualifikation als Fachkraft entspricht. Dies wird verstärkt, wenn sie immer wieder beobachten können, dass ihre langjährigen Kolleg:innen grundpflegerische Tätigkeiten häufig an Auszubildende oder Pflegehilfskräfte delegieren. Von internationalen Fachkräften geäußerte Irritationen oder Abgrenzungen wiederum deuten die langjährig mitarbeitenden Pflegefachkräfte oftmals als Arroganz oder Verweigerung. Dies kann sich u.a. in einer Zuschreibung aufgrund der zumeist akademischen Qualifikation der internationaler Pflegefachpersonen begründen: Sie vermuten dann, ihre neuen Kolleg:innen seien sich „zu fein,“ die Pflegebedürftigen zu waschen oder hätten diese Tätigkeiten nicht erlernt. Letzteres hat häufig zur Folge, dass internationale Pflegefachpersonen mit grundpflegerischen Tätigkeiten im Sinne einer Lernaufgabe beauftragt werden. Da die Erwartungen (das Lernen) zumeist nicht verbalisiert werden, verstärken sich aufseiten der internationalen Pflegefachkräfte die Irritationen und die beschriebenen Gefühle der Herabsetzung.
Durch den Umstand, dass die Kompetenzen der internationalen Fachkräfte kaum wahrgenommen oder abgerufen werden (können) und – insbesondere im Anerkennungsverfahren – der Fokus beinahe ausschließlich auf die sog. Defizite gelegt wird, werden sie im betrieblichen Alltag häufig mit Auszubildenden oder Praktikant:innen gleichgesetzt, wie auch der häufig verwendete Begriff „Anerkennungspraktikant:innen“ verdeutlicht. Dadurch finden sich Pflegefachpersonen mit teils langjähriger Berufserfahrung relativ plötzlich am unteren Ende der betrieblichen Hierarchie wieder. Dies wird noch dadurch verschärft, dass „die Neuen“ üblicherweise zunächst als Außenseiter:innen betrachtet werden, die erst im Laufe der Zeit zu einem Teil des Teams werden können.
Hierarchie(verständnis) in der Pflege
Da die Pflege in den meisten Herkunftsländern der internationalen Fachkräfte unabhängiger von der Ärzteschaft arbeitet, organisieren die Pflegefachkräfte den Pflegeprozess autonomer als in Deutschland [3]. Dementsprechend sind die Pflegefachkräfte dort mit Managementaufgaben betraut und verantwortlich für die Behandlungspflege, die auch Aspekte der medizinischen Versorgung umfasst. Damit einher geht zumeist eine stark formalisierte Hierarchie innerhalb der Pflege. Die migrierten Fachkräfte sehen sich dementsprechend mit einer Irritation ihres Selbstverständnisses konfrontiert, wenn sie etwa während des Anerkennungsprozesses als Pflegehelfer:innen arbeiten müssen.
Darüber hinaus sehen sie sich mit anderen hierarchischen Strukturen in Deutschland konfrontiert: Zwar existiert auch in Deutschland eine Pflegehierarchie – die Tätigkeiten von Fachkräften und Hilfskräften sind gesetzlich eindeutig geregelt –, im Versorgungsalltag ist der Umgang miteinander aber vergleichsweise informell. Zum Beispiel springen Leitungspersonen bei der sog. Grundpflege oder der Essensausgabe ein, wenn zu wenig Personal da ist, was im Allgemeinen überaus positiv wahrgenommen wird. Darüber hinaus haben Pflegehelfer:innen vergleichsweise viel Gestaltungsspielraum, insbesondere in der stationären Langzeitpflege.
Ein Beispiel aus dem Pflegealltag veranschaulicht dies:
Die Teammitglieder sitzen im Stationszimmer zur Übergabe. Eine Patientin klingelt. Die neue Kollegin bleibt sitzen. Die langjährig mitarbeitende Pflegefachkraft schaut demonstrativ zu ihr, äußert sich jedoch nicht. Nach wenigen Minuten steht sie auf, verdreht die Augen, seufzt und geht auf die Klingel. Dabei wirft sie der neuen Kollegin einen scheinbar genervten Blick zu.
Interpretation der Situation:
Als Fachkraft in Anerkennung, also im Status einer Pflegehilfskraft, sieht die neue Kollegin sich in einer Position unterhalb der Fachkräfte und wartet deshalb, bis sie von einer Fachkraft aufgefordert wird, in das Patientenzimmer zu gehen. Die langjährige Pflegefachkraft deutet dies als Unaufmerksamkeit, Mangel an Initiative oder gar Faulheit, weil es im deutschen Pflegealltag eher üblich ist, dass derjenige zur Klingel geht, der gerade Zeit erübrigen kann. Darüber hinaus hat sich im beruflichen Alltag in Deutschland – als unausgesprochene (informelle) Regel – etabliert, dass Auszubildende, Praktikant:innen oder neue Kolleg:innen während der Übergabe auf die Klingel gehen, damit die Fachkräfte ungestört mit der Übergabe fortfahren können. Internationalen Pflegefachpersonen, die in einem anderen System sozialisiert sind, sind diese Regeln nicht bekannt.
Beidseitige Enttäuschungen und Entwertungserfahrungen
Ein Grund für Frust und Unmut bei allen Beteiligten liegt in Enttäuschungen und Entwertungserfahrungen, zu denen es bei der Zusammenarbeit von neuen, internationalen und langjährigen Pflegefachkräften kommen kann. Das Pflegeverständnis aller Beteiligten wird irritiert, indem es mit anderen Vorstellungen von Pflege, von Kompetenz- und Aufgabenprofilen sowie von Fachlichkeit konfrontiert wird. Die internationalen Pflegefachkräfte fühlen sich und ihre fachlichen Qualifikationen abgewertet, weil sie ihre Kenntnisse und Kompetenzen sowie ggf. ihre beruflichen Erfahrungen aus ihrem Herkunftsland häufig nicht so einbringen können bzw. dürfen, wie sie gerne würden. Darüber hinaus stehen sie unter einem hohen Erwartungs- und Anpassungsdruck, der den ohnehin schon herausfordernden Integrationsprozess zusätzlich erschwert.
Die langjährigen Pflegefachkräfte hingegen werden durch den Austausch mit internationalen Pflegefachkräften mit Themen konfrontiert, die sie sich selbst wünschen würden, wie beispielsweise mehr Zeit für Zuwendung den Pflegebedürftigen gegenüber, mehr Autonomie und Gestaltungsspielraum bei der Berufsausübung sowie eine höhere gesellschaftliche Anerkennung. Nicht selten fühlen sie sich angegriffen oder entwertet, wenn ihr berufliches Selbstverständnis oder die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten infrage gestellt werden. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass die mitgebrachten Kompetenzen internationaler Fachkräfte im Anerkennungs- und Integrationsprozess weitgehend ausgeblendet bzw. nicht festgestellt werden, auch für die langjährig Mitarbeitenden Konsequenzen. Sie sind für die Einarbeitung der neuen Kolleg:innen und die Vermeidung von Fehlern (z.B. aufgrund von Missverständnissen) verantwortlich, können die Fähigkeiten und Kompetenzen dieser jedoch mangels entsprechender Informationen nur schwer einschätzen [6].
Hinzu kommt ein sehr verdichteter Arbeitsalltag, der von Personalengpässen geprägt ist und in dem kaum Zeit und Raum bleibt, das berufliche Selbstverständnis (kritisch) zu reflektieren und gemeinsame Werte in der Arbeit auszuhandeln.
Pflegeverständnis in der Diskussion
Bei all dem ist hervorzuheben, dass sich das Pflegeverständnis in Deutschland derzeit auch tiefgreifend wandelt. Die Veränderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Einführung der generalistischen Ausbildung und der (Teil-) Akademisierung sowie die Ausweitung der Kompetenzbereiche (bspw. durch Vorbehaltsaufgaben) zeugen von erheblichen Veränderungen. Diese Maßnahmen und Gesetze dienen zum einen der Gewinnung von Pflegepersonal, zum anderen soll dadurch aber auch die internationale Anschlussfähigkeit der deutschen Pflege gewährleistet sein – insbesondere im Kontext der Europäisierung. Damit zusammenhängend werden etwa die Qualifikationen aus Ländern der Europäischen Union – anders als die von Drittstaaten – automatisch als gleichwertig anerkannt.
Bei näherem Hinsehen ist es also nicht so, dass die Pflegeverständnisse von internationalen und in Deutschland ausgebildeten Pflegefachkräften unvereinbar aufeinandertreffen. Vielmehr handelt es sich um ein Wechselspiel zwischen der deutschen und der internationalen Pflege. Auch dies könnte dazu beitragen, dass es sich bei dem Thema Pflegeverständnis um ein solch zentrales Thema in der Zusammenarbeit in transkulturellen Teams handelt. Zudem könnte dies ebenfalls erklären, warum die Diskussion um unterschiedliche Pflegeverständnisse bei den in Deutschland qualifizierten Fachkräften so viel Konfliktpotential birgt und schnell zu einer Verunsicherung des Pflegeverständnisses führt.
So zeigen Forschungsergebnisse aus dem Projekt TransCareKult, dass es vielen in Deutschland qualifizierten Pflegefachpersonen sehr schwerfällt, ihr eigenes berufliches Selbstverständnis auszudrücken und anderen Personen und/oder Berufsgruppen gegenüber zu vertreten. Nicht selten äußern sie, dass sie das, was Pflege eigentlich ausmache und bedeute, als fremdbestimmt wahrnehmen würden. Für die – wie auch immer definierte – „eigentliche Pflege“ sei häufig keine Zeit mehr [4]. Es sei demnach irgendwo zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu verorten. Fehlen den in Deutschland qualifizierten Fachkräften jedoch die Worte, um ihr pflegeprofessionelles Selbstverständnis zu erklären, werden sie es den neuen Kolleg:innen nicht näherbringen oder mit diesen aushandeln können.
Fazit
In vielfältigen, internationalen Pflegeteams treffen automatisch unterschiedliche Integrations-, Pflege- und Fachlichkeitsverständnisse aufeinander. Diese bergen Herausforderungen, insbesondere wenn eine konstruktive Auseinandersetzung mit diesen nicht stattfindet. Genauso bergen sie aber auch Chancen u.a. für ein wechselseitiges Lernen und für die Entwicklung von Lösungs- und Handlungsstrategien im gemeinsamen Umgang mit den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen hinsichtlich der pflegerischen Versorgung. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass alle Teammitglieder – sowohl die international qualifizierten, als auch die in Deutschland ausgebildeten Fachkräfte – die Möglichkeit erhalten, regelmäßig ihr eigenes berufliches Selbstverständnis (kritisch) zu reflektieren und mit anderen Verständnissen, Erwartungen und Vorstellungen abzugleichen. Weiterhin ist es von zentraler Bedeutung, das Pflegeverständnis Anderer zu erkennen, zu verstehen und einzuordnen und stereotype Vorstellungen und Vorurteile hinsichtlich unterschiedlicher Qualifizierungswege (akademisch und berufliche) und Pflegeverständnisse abzubauen. Nur auf dieser Basis können gemeinsame Werte, Prioritäten etc. in der pflegerischen Versorgung und Zusammenarbeit ausgehandelt werden. Um dies zu ermöglichen, sind zunächst die Führungskräfte gefragt, Räume und Gelegenheiten zu schaffen sowie entsprechende Ressourcen bereitzustellen (z.B. mithilfe des Qualifizierungskonzepts TransCareKult). Auch ist es von Bedeutung, im Integrationsprozess die Bedarfe und notwendige Vorbereitung/ Unterstützung alle beteiligten Personen – die internationalen Fachkräfte, die Pflegeteams, Praxisanleitende, Integrationsbeauftragte etc. – zu berücksichtigen. Neben der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Pflegeverständnissen ist hier auch ein angemessenes Erwartungsmanagement – ebenso bezogen auf alle beteiligten Personen – erforderlich. Hierzu sind u.a. folgende Maßnahmen von Bedeutung:
- Transparente Darstellung und realistische Information der internationalen Pflegefachpersonen im Anwerbeprozess über das Aufgaben- und Anforderungsprofil beruflich ausgebildeter Pflegefachpersonen in Deutschland, rechtlicher Rahmenbedingungen sowie Entwicklungsmöglichkeiten
- Information aller Beteiligten über die Bedingungen und Erfordernisse im Rahmen der Anerkennungsverfahren
- Etablierung von Austausch- und Unterstützungsformaten zur Besprechung und Klärung der institutionellen und individuellen Erwartungen
Auch Bildungseinrichtungen, die Anpassungsmaßnahmen begleiten bzw. umsetzen, wie z.B. Vorbereitungskurse auf die Kenntnisprüfung, können den Prozess der beruflichen Identitätsentwicklung unterstützen. So könnte z.B. das Thema der Reflexion des eigenen beruflichen Selbstverständnisses und der Auseinandersetzung mit Irritationen im Arbeitsprozess in Bildungsangebote integriert werden. Letztlich ist es bei all dem notwendig, von defizit- zu ressourcenorientierten Ansätzen zu gelangen und dementsprechend die Kompetenzorientierung zu stärken.
[1] Gold, C./ Maliki, S./ Smeaton, S./ Tersch, M./ Schulze, U. (2019): „Eine unterkühlte Willkommenskultur – Ergebnisse einer qualitativen Studie zur Situation neu zugewanderter Pflegender in stationären Einrichtungen“. In: Pflegewissenschaft – Zeitschrift für Pflege, Pflegeforschung, Pflegepraxis und Pflegemanagement, 03/04 2019, 130-141
[2] Peppler, L. (2021): Care in Transition. Pflegeteams im Spannungsfeld zwischen Migration und Akademisierung. In: Health & Care Management 12 (4), S. 25.
[3] Kontos, M./ Ruokonen-Engler, M.-K./ Guhlich, A. (2019): Betriebliche Integrationsprozesse von neu migrierten Pflegefachkräften. In: Pütz, R./ Kontos, M./ Larsen, C./ Rand, S./ Ruokonen-Engler, M.-K.: Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland. Innenansichten zu Herausforderungen globalisierter Arbeitsmärkte. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. Online im Internet: https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_416.pdf [Zugriff: 19.09.2024]
[4] Gold, C./ Kaets, V./ Kraus, K./ Schulze, U. (2020): Qualifizierungskonzept „TransCareKult“. Ein Materialband für Trainerinnen und Trainer in Gesundheitsberufen. Online: www.hessen.netzwerk-iq.de/materialband-transcarekult
[5] Friesacher, H. (2015): Wider die Abwertung der eigentlichen Pflege. In: intensiv 2015, 23(04)
[6] Klemm, M. (2022): Statuskonflikte im/mit System. In: Slotala, L./ Noll, N./ Klemm, M./ Bollinger, H. (Hrsg.): Die Internationalisierung der beruflichen Pflege in Deutschland. Frankfurt: Mabuse, 103-118
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