Kulturübergreifende Kommunikation: Missverständnisse vermeiden mit dem Kommunikationsquadrat
Teil der Serie ‚Kulturübergreifende Kommunikation leicht gemacht‘: Vier praktische Modelle für kultursensible Kommunikation – von Anna Fuchs. Erfahren Sie, wie das Kommunikationsquadrat kulturelle Unterschiede entschlüsselt, Missverständnisse vermeidet und Teams interkulturell erfolgreicher macht.
Das Wichtigste in Kürze
- Kommunikation umfasst immer vier Ebenen: Sachinhalt, Appell, Beziehungshinweis und Selbstkundgabe.
- Das Kommunikationsquadrat hilft dabei, Konflikte zu erkennen und aufzulösen.
- Kulturelle Unterschiede beeinflussen, welche der vier Seiten Menschen stärker betonen.
- Missverständnisse entstehen oft, wenn unterschiedliche Kommunikationsstile aufeinandertreffen.
- Bewusst angewendet, trägt das Modell zu einem respektvollen und konstruktiven Miteinander bei.
Wie redet die eigentlich mit mir?
Kennen Sie das auch: Eine Kollegin spricht Sie plötzlich barsch an; eine Patientin meidet den Blickkontakt, und eine Mitarbeiterin reagiert auf Feedback ausschließlich ironisch? Sicher haben Sie so etwas oder eine ähnliche Situation schon einmal erlebt und sich dabei vielleicht nicht ernst genommen gefühlt, wurden ungeduldig oder ärgerlich. Vielleicht haben Sie sogar damit begonnen, den Kontakt mit diesem unangenehmen Gegenüber auf das Nötigste zu beschränken.
Denn wir Menschen merken recht schnell, ob wir eine Person mögen oder nicht, ob das Gegenüber nett und vertrauenswürdig oder aggressiv und aufdringlich ist. Was wir allerdings oft nicht merken, ist, dass wir ein solches Urteil nur allzu schnell unbewusst und bloß aufgrund eines ungewohnten Kommunikationsstils treffen. Besonders in interkulturellen Settings kann das zu schwerwiegenden Missverständnissen bis hin zu Konflikten führen.
Reibungslose Kommunikation – die Norm, nicht die Ausnahme
Ich möchte voranstellen, dass die meisten unserer täglichen Begegnungen reibungslos verlaufen. Als Kommunikationsexpertin weiß ich: Solange wir eine gemeinsame Sprache sprechen, funktioniert auch kulturübergreifende Kommunikation in der Regel ausgezeichnet. Die Evolution hat Menschen zu wahren Verständigungsexpert:innen gemacht, die selbst unwillkürlichste Gesichtsausdrücke in Millisekunden lesen können – ganz mühelos und mit erstaunlicher Präzision. Kurz gesagt: Ganz egal, wo und wie Menschen aufgewachsen sind – meist verstehen wir uns!
Es kommt aber eben auch vor, dass Menschen im kulturübergreifenden Kontakt scheinbar „ohne Grund“ ungeduldig, ärgerlich oder verunsichert reagieren oder sich nicht ernst genommen fühlen. Hinter dieser Irritation stecken dann oft ungewohnte Kommunikationsstile.
In solchen Momenten – die das (Berufs-)Leben ganz schön kompliziert machen können – packe ich meinen kommunikationspsychologischen Werkzeugkoffer aus. In dieser vierteiligen Artikelreihe werde ich Ihnen einige meiner Werkzeuge vorstellen: Wir starten mit dem Kommunikationsquadrat.
Das Kommunikationsquadrat – Vier Seiten einer Nachricht
Das Kommunikationsquadrat, entwickelt von Professor Schulz von Thun, ist ein vielseitig einsetzbares Werkzeug, das sich auch für die Arbeit in internationalen Teams bewährt hat. Es fußt auf der Grundannahme, dass jede Äußerung vier Aspekte hat, die sich mit den vier Seiten eines Quadrats darstellen lassen:
- Sachinhalt – Worüber informiere ich? Hier zählen Zahlen, Daten und Fakten. Steht bei einem Kommunikationsprozess die Sachseite im Vordergrund, geht es um präzise, verständliche und differenzierte Informations- und Wissensvermittlung.
- Appell – Was möchte ich bei meinem Gegenüber erreichen? Was soll sie oder er tun, denken und fühlen – oder eben auch nicht tun, denken und fühlen?
- Beziehungshinweise – Was halte ich von meinem Gegenüber, und wie stehe ich zu ihr oder ihm? Beim Beziehungshinweis geht es um Akzeptanz und Zugehörigkeit. Die Hamburger Kommunikationspsychologie unterscheidet dabei zwei Arten von Botschaften: Du-Botschaften („So bist du!“) und Wir-Botschaften („So stehen wir zueinander!“).
- Selbstkundgabe – Wie bin ich, was liegt mir am Herzen und was zeige ich von mir? In der zwischenmenschlichen Kommunikation schwingt immer auch eine Selbstkundgabe mit: „So bin ich, das ist mir wichtig, so geht es mir, so fühle ich mich.“ Für Menschen ist es enorm wichtig, einerseits zu erkennen, wen sie vor sich haben, und sich andererseits selbst zu zeigen.
Wir können nicht nicht auf allen vier Seiten kommunizieren
Wann immer wir kommunizieren, tun wir das auf allen vier Ebenen. Manchmal werden die vier Seiten des Kommunikationsquadrats daher auch als vier Ohren und vier Schnäbel dargestellt, um zu verdeutlichen, dass wir immer – explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst – alle Botschaften gleichzeitig senden und empfangen.
Lassen Sie uns das an einem Beispiel betrachten: Wenn etwa eine Ärztin sich große Mühe gibt, eine Diagnose rein sachlich mitzuteilen, schwingen in ihren Erläuterungen neben den vermittelten Informationen immer auch Appelle, Selbstkundgabe und Beziehungshinweise mit. Es ist sogar gut möglich, dass diese „Untertöne“ vom Gegenüber stärker wahrgenommen und gewichtet werden als die Sachinformation selbst.
„Selbst wenn medizinisches Personal Anweisungen häufig explizit ausspricht – etwa: ‚Nehmen Sie eine Woche lang dreimal täglich 1.000 mg Paracetamol…‘ – werden Appelle meist indirekt vermittelt. Das gilt auch für die Ärztin im Beispiel, die zusätzlich zur Sachinformation durch Blickkontakt, Körperhaltung und Stimmlage nonverbale Appelle sendet, wie: „Hören Sie mir aufmerksam zu! Nehmen Sie meine professionelle Meinung ernst! Bleiben Sie erstmal ruhig!“
Und selbst in ihrer ganz sachlich gegebenen Diagnose sendet unsere Ärztin über Wortwahl, Gesichtsausdruck und Tonfall zahlreiche Signale zu ihrem eigenen Gefühlszustand und ihrer Persönlichkeit, etwa: „Ich bin in Eile“ oder „Ich nehme mir Zeit für Sie“; „Ich verstehe Sie und Ihr Anliegen“ oder „Ich bin genervt“; „Ich sehe uns auf Augenhöhe“ oder „Mir sind Autorität und Respekt sehr wichtig.“
Und nicht zuletzt schwingt immer ein Beziehungshinweis mit, der oft implizit über Wortwahl und Körpersprache kommuniziert wird. Der Beziehungshinweis beinhaltet zwei Elemente:
- eine Du-Botschaft, die besagt, wie ich dich sehe und welches Bild ich von dir habe – etwa: „Du bist klug, nett, vertrauenswürdig“ oder eben auch nicht.
- eine Wir-Botschaft, die beschreibt, wie ich unsere Beziehung sehe und was meiner Meinung nach zwischen uns erlaubt ist und was nicht. Etwa: „Wir stehen so zueinander, dass ich dich duzen darf, dir Anweisungen erteilen darf, deine Meinung infrage stellen darf, ungefragt vorbeikommen darf … oder eben auch nicht.“
Gerade diese Beziehungsdefinition ist für den zwischenmenschlichen Kontakt hoch relevant, sie hängt stark vom Kontext und den jeweiligen Rollen ab und wird meist stillschweigend ausgehandelt.
Im Beziehungshinweis liegt das Konfliktpotential
Gibt es einen Konflikt, liegt der übrigens immer auf der Beziehungsseite! Unterschiedliche Meinungen auf der Sachseite sind genau das: Meinungsunterschiede, die wir meist getrost beiseite legen könnten. Ein Konflikt entsteht erst dann, wenn Meinungsunterschiede auf der Sachseite von der Beziehungsseite befeuert werden, im Sinne von: „Wie redest du mit mir? Warum glaubst du, dass du das besser kannst als ich? Warum insinuierst du, dass ich unprofessionell bin?“
Menschen achten sehr genau darauf, wie sie sich behandelt fühlen – sie liegen regelrecht auf „Beziehungshinweis-Lauer“ und prüfen, ob ihr Gegenüber ihnen den nötigen Respekt entgegenbringt. Dabei gilt allerdings: Respekt und Akzeptanz werden weltweit auf sehr unterschiedliche Weise gezeigt.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn jemand auf meine Ansprache nicht reagiert – also schweigt, obwohl ich mir sicher bin, dass die Person mich gehört hat – fühle ich mich schnell respektlos behandelt und werde ärgerlich. Ich höre dann zwei Seiten des Beziehungshinweises: die mitschwingende Du-Botschaft „Du bist nicht wichtig genug, um dir zuzuhören“ sowie die implizite Wir-Botschaft „Ich darf es mir herausnehmen, dich zu ignorieren.“
Klar, dass ich darauf innerlich empört reagiere, oder?! Nun ja – eigentlich gar nicht so klar: Für meine Interpretation und innere Reaktion trage schließlich ich die Verantwortung. Ich könnte ja auch amüsiert-verständnisvoll reagieren: „Bei der Person sind wohl noch nicht alle Sinne ausgeschlafen!“ oder forschend-interessiert: „Huch, was ist denn da gerade los?“ Doch um so reagieren zu können, muss ich erst lernen, meine automatische Erst-Reaktion durch eine professionelle Zweit-Reaktion zu ersetzen.
Gerade im kulturübergreifenden Kontakt treffen wir besonders oft auf unterschiedliche Kommunikationsstile – deshalb ist dieser Schritt besonders wichtig. So wird Schweigen, um bei unserem Beispiel zu bleiben, in vielen Kulturen ganz bewusst eingesetzt, um eine positive Beziehungsbotschaft zu senden und Wohlwollen zu signalisieren: „Aus Respekt vor Ihnen und Ihrer Rolle nehme ich mir die Zeit, eine wohlüberlegte Antwort zu geben.“
Gut also, wenn ich dann nicht vorschnell auf meine Interpretation der „Spielregeln“ genervt reagiere – auch wenn das zugegebenermaßen gar nicht so einfach ist. Hier hilft das Wissen um unterschiedliche Kommunikationsstile und -präferenzen.
Weltweit kommunizieren Menschen sehr unterschiedlich
In einem Umfeld, in dem Menschen aus vielen Kulturen zusammenarbeiten, sind solche Unterschiede in der Kommunikation eine häufige Quelle von Missverständnissen und Konflikten. Daher ist es wichtig, kulturelle Unterschiede zu kennen und gleichzeitig in der Lage zu sein, Unstimmigkeiten zu reflektieren. Das Kommunikationsquadrat kann dabei helfen.
Denn auch wenn Menschen überall auf der Welt auf allen vier Ebenen kommunizieren: Wie ihnen diese vier Schnäbel gewachsen sind, auf welchen ihrer vier Ohren sie besonders hellhörig sind, ist eben auch kulturbedingt:
Sachseite
So findet sich eine stärkere Sozialisierung auf der Sachseite traditionell in technischen Berufen und männerdominierten Lebensbereichen. Wer sich hier zu Hause fühlt, versucht, andere mit detaillierten Informationen und überprüfbaren Tatsachen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Satzanfänge wie „Fakt ist …“ oder „Die Daten zeigen …“ sollen dann maximale Objektivität und Wahrheit suggerieren. Auch die Kommunikation der Deutschen wird von Nichtdeutschen häufig auf der Sachseite verortet.
Appell
Einen offenen Appell, eine direkte Bitte oder gar einen unverblümten Wunsch direkt zu kommunizieren, ist in vielen Kulturen dagegen undenkbar – insbesondere, wenn es sich beim Adressaten um eine hierarchisch höhergestellte Person handelt. Stattdessen werden Appelle indirekt gesendet. Menschen, die diese Kommunikationsform nicht gewohnt sind, überhören solche versteckten Aufforderungen allerdings oft einfach. Oder sie bemerken die verdeckten Appelle zwar, legen sie jedoch als Manipulationsversuch aus. Ein besonders aktives „Appell-Ohr“ wiederum hört im interkulturellen Kontakt bisweilen Aufforderungen heraus, die gar nicht gesendet wurden.
Beziehungsseite
Eine starke Gewichtung der Beziehungsseite zeigt sich manchmal in einer überschwänglichen „Komplimente-Dank-und-Lob-Kultur“: „Welch schöne Ohrringe, tolles Auto, herausragende Präsentation!“ Teilweise geht sie mit dem Manöver einher, sich selbst verbal kleiner zu machen, um das Gegenüber zu erhöhen. Eine Aussage wie „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Was sagen Sie denn dazu?“ kann manchmal ein reines Beziehungsangebot sein, bei dem der Sprecher seine Idee sehr wohl für gut hält. Oft schwingt die Erwartung mit, dass das Gegenüber die soziale Balance aufrechterhält, etwa mit einem Gegenkompliment oder durch die Würdigung einer besonderen Leistung oder Eigenschaft, besonders bei einer hierarchisch höhergestellten Person.
Selbstkundgabebotschaften
Schließlich beeinflussen kulturelle Normen, welche Selbstkundgabebotschaften erlaubt sind. In vielen Mittelmeerländern gehören große Selbstkundgabe-Schnäbel und -Ohren, die Freude daran, sich zu zeigen, sowie ein freundschaftlich-persönliches Verhältnis im Kollegenkreis zum guten Umgangston. In ostasiatischen Kulturen dagegen werden Bescheidenheit, Besonnenheit und zurückhaltende Höflichkeit geschätzt. Direkt ausgesprochene Selbstkundgabebotschaften in Form von Ich-Aussagen oder der Formulierung eigener Bedürfnisse gelten dann oft als egoistisch oder arrogant. Vor allem in professionellen Kontexten hat eine verbalisierte Selbstkundgabe hier wenig Platz. Aber auch in privaten Beziehungen kann es als kindisch oder unangemessen gelten, über eigene Gefühle zu sprechen.
Der Versuch lohnt sich
Auch wenn es im stressigen Arbeitsalltag nicht immer gelingen mag: Wenn Sie bemerken, dass es regelmäßig zu wiederkehrenden Konflikten, Kommunikationsstörungen oder auch nur einem diffusen Unstimmigkeitsgefühl kommt, sollten Sie sich ab und zu die Zeit nehmen, zu analysieren, was hier eigentlich los ist – ganz besonders, wenn Sie (Gesprächs-) Führungsverantwortung haben!
Welche vier Botschaften nehmen Sie vom Gegenüber wahr, und welche Botschaften nimmt Ihr Gegenüber vielleicht von Ihnen wahr? Können Sie vielleicht einen bestimmten „Schnabel“ aktivieren oder versuchen, ein anderes „Ohr“ zu spitzen?
Würde es Sinn machen, sich einmal mit kulturellen Besonderheiten auseinanderzusetzen, mit der betroffenen Person ins Gespräch zu gehen oder eine andere Verhaltensstrategie auszuprobieren? Versuchen Sie vielleicht einmal, bewusst anders zu reagieren als sonst– ganz im Sinne einer paradoxen Intervention?
Aus der Systemtheorie wissen wir, dass selbst kleine Veränderungen manchmal eine große Entwicklung nach sich ziehen können. Ein Versuch lohnt sich also allemal.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Menschen kommunizieren nach „Spielregeln“, die sie durch Nachahmung und Erfahrung im Laufe ihres Lebens erworben haben. Beim Kontakt mit Menschen aus anderen kulturellen Kontexten kann es zu Missverständnissen und Irritationen kommen. Dabei werden unbewusst Mimik, Gestik, Tonlage, Gesprächspausen, Lautstärke und weitere kommunikative Signale interpretiert – jedoch nach den eigenen „Spielregeln“.
Diese Vorgänge laufen blitzschnell und weitestgehend automatisch ab. Menschen erscheinen uns dann vielleicht plötzlich verstockt, aufdringlich oder respektlos, ohne dass wir bemerken, dass uns eigentlich nur fremde Kommunikationsgewohnheiten irritieren. Hier hilft das Kommunikationsquadrat, das Bewusstsein für diese Prozesse zu schärfen und neue Perspektiven auf interkulturelle Begegnungen zu entwickeln.
Als bewährtes Modell unterstützt es uns dabei, Irritationen und Missverständnisse besser zu verstehen und Handlungsalternativen zu finden. Einmal verinnerlicht, trägt das Kommunikationsquadrat viel zu einem respektvollen und tragfähigen Miteinander bei.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Anmerkung
Teile dieses Textes entstammen dem Buch „Transkulturelle Herausforderungen meistern“
Die Veröffentlichung der Textbausteine erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags sowie der Autorin Anna Fuchs.
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