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Integration

Einsprachige Kultur trifft auf mehrsprachige Arbeitswelten

8 Min
Britta Schneider
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Inhaltsverzeichnis
Traditionen & Chancen
Monolinguale Kulturen
Mehrsprachigkeit Alltag
Fazit

Sprache und Sprechen sind in unserem Arbeitsalltag allgegenwärtig – es gibt kaum einen Bereich, in dem verbale Kommunikation nicht zentral ist. Dabei profitieren wir davon, dass es Sprachregeln gibt, die wir erlernt haben und die unsere Verständigung erleichtern. Im Zeitalter der Globalisierung gibt es immer mehr Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunftssprachen und so ist die Kompetenz, mehrere Sprachen zu sprechen und Zugang zu unterschiedlichen sprachlichen Traditionen und Regeln zu haben, ein wichtiges Gut. Trotzdem berichten gerade in Deutschland Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, immer wieder, dass sie sich weniger anerkannt oder gar diskriminiert fühlen. Dabei sind gerade sie es, die nicht nur mehrere Sprachen sprechen, sondern auch besonders erfahren sind im Umgang mit sprachlichen Unterschieden. Woher kommt es, dass Mehrsprachigkeit wenig geschätzt wird? Und wie können wir eine sprachliche Alltagspraxis entwickeln, die Diskriminierung entgegensteht und gegenseitiges Verstehen fördert?

Das Wichtigste in Kürze

  • Mehrsprachigkeit ist eine wichtige Ressource, die eine globale Gesellschaft braucht 
  • Monolinguale Kulturen sind historisch bedingt und nicht ‚natürlich‘ oder universal
  • Alleinige Fokussierung auf sprachliches ‚richtig‘ und ‚falsch‘ behindert zwischenmenschlichen Austausch und effektive Kommunikation
  • Mehrsprachiger Arbeitsalltag braucht Raum für Austausch über Sprache und über Sprachbedeutung – von einem solchen Austausch profitieren alle Beteiligten
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Einsprachige Traditionen und mehrsprachige Chancen

Mehrsprachigkeit als Problem oder als Ressource?

Wir sind es gewöhnt, dass Mehrsprachigkeit gerade in öffentlichen Medien eher als Problem denn als Ressource behandelt wird. Das Erlernen des Deutschen steht häufig im Mittelpunkt und die Annahme, dass nur deutsche Sprachkompetenzen relevant sind, wenn man in Deutschland lebt, ist weit verbreitet. Dabei bietet es uns und unserer Gesellschaft viele Vorteile, wenn wir Zugang zu vielen Sprachen haben. Das sehen wir nicht zuletzt daran, dass Fremdsprachen in der Schule erlernt werden müssen und wir es bewundern, wenn jemand drei oder gar mehr Sprachen sprechen kann. Insbesondere bei europäischen Prestigesprachen, also zum Beispiel Englisch, Französisch oder Italienisch, betrachten wir Mehrsprachigkeit als kulturell wertvoll. Bei Sprachen wie Türkisch oder Arabisch ist das oft weniger der Fall – hier wird die Kenntnis der Sprachen, gerade in Schulen, häufig als zu überwindendes Problem angegangen, was auf Zusammenhänge zwischen Sprache und Rassismus hinweist. 

Mehrsprachigkeit heißt, dass man zu mehreren Sprachen Zugang hat. Natürlich ist es in Deutschland von großem Vorteil, wenn die deutsche Sprache eine davon ist. Auf dem Arbeitsmarkt ist das Deutsche häufig unabdingbar (wenn es auch in manchen Kontexten, etwa im Finanz- oder Start-up Bereich, durchaus möglich ist, ohne Deutschkenntnisse auszukommen). Zugleich vergessen wir oft, dass diejenigen, die zuhause eine andere Sprache als Deutsch sprechen, sprachliche Ressourcen mitbringen. In der Fachsprache sprechen wir von einem ‚defizitären Blick’, wir sehen nur, was Menschen nicht können und nicht, was sie können. In der Sprachwissenschaft konnte gezeigt werden, dass es insbesondere kognitive Vorteile bietet, mehr als eine Sprache zu erlernen. Kinder, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, haben eine höhere Abstraktionsfähigkeit, vermutlich da sie gewohnt sind, dass Dinge mehrere Bezeichnungen haben und sie so besser über das Verhältnis von Wort und Ding reflektieren können. So konnte gezeigt werden, dass zweisprachiges Aufwachsen mathematische Fähigkeiten positiv beeinflusst. Auch bieten sich recht offensichtliche ökonomische Vorteile, wenn man durch Mehrsprachigkeit Zugang zu internationalen Arbeitsmärkten erhält oder mit Menschen verschiedener Herkunftssprachen kommunizieren kann. In unserer diversen Gesellschaft werden Menschen mit mehrsprachigen Kompetenzen gebraucht, um die Kommunikation zwischen Sprachgruppen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Das ist besonders in medizinischen oder pflegerischen Kontexten von Bedeutung, da hier Menschen aller Hintergründe aufeinandertreffen und auf gegenseitiges Verstehen durch Sprache angewiesen sind.

Und doch beobachten wir, dass bei vielen Menschen Kompetenzen und Ressourcen aberkannt oder weniger wahrgenommen werden, wenn man ihnen anhört, dass Deutsch nicht ihre Erstsprache ist. Ein sogenannter ‚Akzent‘ sagt aber wenig über sprachliche oder andere intellektuelle Kompetenzen aus, sondern ist bei vielen Menschen normaler Effekt des Erlernens einer Sprache im Erwachsenenalter – das Erlernen neuer Laute und Intonationen ist dann besonders herausforderungsvoll. Was sind Gründe für die Stigmatisierung von mehrsprachigen Menschen, trotz der offensichtlichen Vorteile, die Mehrsprachigkeit mit sich bringt?

Monolinguale Kulturen sind historisch bedingt

Einsprachige Staaten, wie sie in Westeuropa und Nordamerika vorherrschen, sind keineswegs ein ‚natürlicher‘ Zustand. Sie sind Ergebnis langjähriger historischer Prozesse, in denen eine bestimmte Art zu sprechen zur Norm wurde. Was wir heute als ‚Dialekte‘ bezeichnen, sind daher nicht Abweichungen von einer historisch älteren Standardsprache, sondern es war ein bestimmter Dialekt, der sich zur Standardsprache entwickelt hat. Ein berühmtes Zitat eines Sprachwissenschaftlers besagt: „A language is a dialect with an army and a navy“ – eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine. Was Max Weinreich damit sagen will, ist, dass manche Sprachen zum Standard werden, weil wir Institutionen und Regelwerke schaffen, die diese Sprache zur Norm erklären. Insbesondere im aufkommenden Nationalismus im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts wurden Sprachen standardisiert und zum Symbol von nationaler Zugehörigkeit erklärt. In Deutschland spielte der Lehrer Konrad Duden dabei eine wichtige Rolle in der Festlegung, was als richtig und was als falsch galt. Ohne den Buchdruck, der verschriftlichte Sprache der Allgemeinheit zugänglich machte, wäre die Durchsetzung von nationalen Sprachnormen dabei nicht möglich gewesen. Nationale Bildungsinstitutionen und die allgemeine Schulpflicht, später auch Massenmedien wie Bücher, Zeitungen, Radio und Fernsehen, führten dann zur allgemeinen Wahrnehmung, dass es nur eine ‚richtige‘ Sprache gibt (auch wenn tatsächliche Einsprachigkeit nie ganz durchgesetzt werden konnte, wie man an sehr lebendigen Dialektkulturen in vielen Regionen in Deutschland sehen kann). 

National standardisierte Regeln für Sprache sind in vielerlei Hinsicht sehr praktisch und tragen auch zum Gemeinschaftsgefühl bei. Diese Regeln sind aber nicht per se ‚besser‘ als andere. Gerade in einer Gesellschaft, in der wir mit Menschen aus unterschiedlichen Sprachkulturen zusammenleben, ist ein Bewusstsein dafür wichtig, dass es unterschiedliche Normen und Regeln gibt, und dass diejenigen, die man selbst als Kind erlernt hat, letztendlich eine Möglichkeit von vielen sind.

Mehrsprachigkeit im Arbeitsalltag

Sprache ist mehr als ‚richtig‘ und ‚falsch‘

Wenn wir über Sprache nachdenken, wird oft unterschätzt, wie sehr unsere sprachlichen Aktivitäten unser ‚Ich‘ definieren. In der Sprachwissenschaft gibt es einen ganzen Zweig, der sich mit den Zusammenhängen von Sprache und Identität beschäftigt. Eine Kritik oder negative Aussage über das eigene Sprechen, ist für die meisten Menschen sehr unangenehm und es wird wohl kaum jemanden geben, der nicht eine Erinnerung daran hat, wie es sich anfühlt, wenn man wegen einer vermeintlich falschen Aussprache ausgelacht oder kritisiert wird. Unsere europäische Sprachkultur ist so sehr geprägt von der Vorstellung, dass es nur ein ‚richtig‘ geben kann, dass eine Abweichung davon sehr oft mit Scham oder Ausgrenzung verbunden ist. Da unser Sprechen eng mit unserer Identität verknüpft ist, ist sprachliche Diskriminierung sehr verletzend. Viele Menschen vermeiden daher Situationen, in denen sie Gefahr laufen, dass ihr Sprechen als falsch oder inkompetent wahrgenommen wird. Angst vor Zurückweisung und Ablehnung kann dann zu mangelnder Kommunikation führen. 

An der Uni, an der ich arbeite, gibt es Studierende aus der ganzen Welt. Wir haben einen Kurs für unsere neuen Studierenden entwickelt, in dem sie lernen, über Spracherfahrungen und sprachliche Ausgrenzung zu reflektieren. Wir möchten sie so ermutigen, sich auch an Diskussionen zu beteiligen, wenn ihre Sprachkompetenzen vielleicht noch nicht perfekt sind. Sie lernen, dass Sprachkompetenzen kein Indiz für Intelligenz sind, und dass die aktive Teilhabe am Gespräch besonders hilfreich ist, um eine Sprache zu erwerben. Sie lernen auch, dass ein ‚komischer‘ Akzent oder die Suche nach dem passenden Wort niemals Grund für Diskriminierung oder Ausschluss oder den Vorwurf der Inkompetenz sein sollten. Zugleich stellen sie fest, dass der Austausch über die Frage ‚was heißt das eigentlich, was Du da sagst?‘ für alle Anwesenden eine wissenschaftliche und soziale Bereicherung ist.

Alle Menschen profitieren vom Austausch über Sprache und Sprachbedeutung

Auch wenn das Erlernen von Grammatik und Wortbedeutungen von großer Wichtigkeit ist, wenn man eine Sprache lernen will, dürfen wir nicht vergessen, dass die Bedeutung von Worten und Sätzen letztendlich immer erst im eigentlichen Kontext und in der gemeinsamen Interaktion entsteht. Das Verstehen, was das Gegenüber meint und was die verwendeten Worte bedeuten, ist daher im Grunde nie selbstverständlich. Wenn wir mit der in einer Gesellschaft dominanten Sprache aufwachsen, glauben wir oft, dass unser Sprechen eindeutig und leicht verständlich ist. Und doch erfahren wir auch im Umgang mit unseren gleichsprachigen Mitmenschen, dass Missverständnisse entstehen können, weil Worte oder Situationen unterschiedlich bewertet werden. Zugleich wissen wir, dass es Menschen sehr verletzen kann, wenn man ihnen sagt, dass ihre Sprache falsch oder komisch ist. 

Gerade in einer mehrsprachigen Arbeitskultur ist es daher von größter Wichtigkeit, dass wir eine Alltagspraxis entwickeln, in der das Fragen nach Bedeutung von Aussagen und das gegenseitige Versichern, dass alle das Gleiche meinen, keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung darstellt. Alltagskulturen, in denen Menschen Angst haben, nachzufragen oder aufgrund ihres Akzents oder Herkunftssprache abgewertet werden, sind nicht nur diskriminierend und sozial ausschließend. Sie bedeuten auch einen Mangel an Effizienz und eine höhere Fehlergefahr. Es ist wichtig, dass wir sagen können, dass wir etwas nicht verstanden haben, oder dass wir nicht genau wissen, was der oder die andere meint. Mehrsprachige Menschen sind besonders kompetent darin, über sprachliche Feinheiten und unterschiedliche Bedeutungen zu reflektieren. Wir sollten diese Kompetenzen nutzen, um es selbstverständlich zu machen, das Wissen und die Sprache aller Mitarbeitenden in wertschätzende und effiziente Arbeitskommunikation einfließen zu lassen. Von einer Arbeitskultur, in der sich offen und angstfrei über Sprache und ihre Bedeutung ausgetauscht werden kann, und die von einem Fokus auf ‚richtig‘ und ‚falsch‘ abkommt, profitieren alle.

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Fazit

Mehrsprachigkeit wird in vielen Kontexten eher als Problem wahrgenommen und Menschen, die nicht als Kinder Deutsch gelernt haben, berichten häufig von Erfahrungen der Abwertung, des Ausschlusses oder der Diskriminierung. Jedoch ist die Fähigkeit, Menschen in mehreren Sprachen zu begegnen, nicht nur ein enormer Vorteil in der globalisierten Alltagswelt. Die Kompetenzen von Mehrsprachigen können genutzt werden, um einen angstfreien, offenen und auf effiziente Kommunikation ausgerichteten Austausch zu ermöglichen. Sprachliche Normen sind wichtig und praktisch – sie sollten aber nicht dazu führen, dass Menschen, die diesen Normen (noch) nicht in allen Feinheiten folgen können, ausgeschlossen oder abgewertet werden. Vielmehr bietet eine mehrsprachige Kultur die Erkenntnis, dass Verstehen immer Ergebnis eines Aushandlungsprozesses ist – wenn wir dem Prozess des Verstehens Raum geben und Nachfragen, Reflektion und Austausch über Sprache Teil gelebter Alltagspraxis werden lassen, werden wir alle davon profitieren.

Disclaimer: Wir machen darauf aufmerksam, dass unsere Inhalte (auch etwaige Rechtsbeiträge) lediglich dem unverbindlichen Informationszweck dienen und keine Rechtsberatung im eigentlichen Sinne darstellen. Der Inhalt dieser Informationen kann und soll eine individuelle und verbindliche Rechtsberatung, die auf Ihre spezifische Situation eingeht, nicht ersetzen. Insofern verstehen sich alle bereitgestellten Informationen ohne Gewähr auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.

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Britta Schneider
Britta Schneider

Britta Schneider ist Professorin für Sprachgebrauch und Migration an der Europa-Universität Viadrina. Sie forscht zu Mehrsprachigkeit in nationalen und globalen Kontexten und untersucht, welche Konzepte Menschen von Sprache haben und wie diese im Zusammenhang stehen mit Politik, Medientechnologie, Identität und sozialer Hierarchie.