Stereotype und Vorurteile – Wissen für eine bessere Zusammenarbeit
In internationalen Teams arbeitet auch unser Unterbewusstsein mit. Stereotype und Vorurteile können die Zusammenarbeit in der Pflege unnötig erschweren. Der Artikel zeigt, wie Stereotype und Vorurteile funktionieren und gibt Hinweise, mit welchen Strategien wir mehr Kontrolle über sie gewinnen können.
Das Wichtigste in Kürze
- Stereotype und Vorurteile sind ein notwendiger Bestandteil der Verarbeitung von Sinneseindrücken im Gehirn. Sie können aber auch sehr destruktiv wirken.
- Stereotype sind abgespeicherte Vergleichsmuster, die uns bei der Orientierung helfen.
- Vorurteile sind blitzschnelle emotionale Bewertungen unseres Gegenübers.
- Stereotype und Vorurteile sind grob und unvollständig. Sie können zu ablehnendem Verhalten und Diskriminierungen führen und Menschen sehr verletzen.
- Es ist möglich, sich der eigenen Stereotype und Vorurteile bewusst zu werden, um grobe oder falsche Schnellurteile langfristig zu korrigieren.
Unbewusste Einstellungen
Unsere Wahrnehmung passiert zum überwiegenden Teil unbewusst und kann daher kaum willentlich kontrolliert werden. Immer wieder treffen wir auf unbekannte Menschen. Innerhalb von Sekunden haben wir ein Gefühl zu ihnen – wirken sie vertrauenswürdig, sympathisch oder machen sie uns Angst? Gespeicherte Erfahrungen und Muster spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Stereotype – Schubladen im Kopf
Um eine Ordnung in die Informationen aus unserer Umwelt zu bringen, sortiert unser Gehirn die Eindrücke. Stereotype kann man sich als Ordnungsschubladen im Gehirn vorstellen. Zusammengehörige Informationen werden unter Schlagworten zusammengefasst. Damit wir uns unter einem Schlagwort schnell etwas vorstellen können, werden zunächst einmal vereinfachte und als typisch behauptete Sachverhalte als Bilder und Informationen aufgerufen. Kommt eine neue Kollegin aus der Türkei, haben wir, ohne sie zu kennen, sofort Bilder im Kopf.
Die Inhalte unserer Schubladen erlernen wir im Laufe unseres Lebens. Eltern, Schule, Freunde, Medien und eigene Begegnungen vermitteln uns Informationen und Gerüchte über Menschengruppen. Darunter können auch unvollständige, abwertende und falsche Informationen sein. So ist z.B. rassistisches Denken gegenüber Schwarzen, People of Color, Menschen aus dem Nahen Osten, Menschen aus Asien und Menschen aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland tief verwurzelt. Auch heute noch werden Stereotype gezielt verbreitet, um Menschen aus anderen Ländern abzuwerten und auszuschließen.
Vorurteile – Blitzschnelle Bewertungen
Vorurteile helfen uns, ein Gefühl für einen Menschen zu bekommen, in dem unser Gehirn ihn blitzschnell bewertet. Grundlage für die Bewertungen sind unsere Stereotype. Je nachdem, welche Informationen die Schubladen enthalten, gelangt unser inneres Gericht zu einem positiven oder negativen Urteil. Diese Bewertung, dieses Urteil, ist ein Vor-Urteil, weil wir den Menschen nur nach „Aktenlage” beurteilt haben, ohne ihn anzuhören und die Übereinstimmung der Stereotype mit der konkreten Persönlichkeit zu prüfen. Zu unserer neuen türkischen Kollegin haben wir also nicht nur Bilder und Vorstellungen im Kopf, sondern schnell auch wertende Gefühle, wie z.B. Vertrauen oder Misstrauen, Freude oder Skepsis.
Warum Stereotype und Vorurteile problematisch sind
Stereotype sind skizzenhaft, unvollständig und manchmal auch gefährlich falsch. Die Schnellbewertungen aufgrund von groben Skizzen haben daher keine hohe Qualität und können für eine Zusammenarbeit problematisch sein. Voreingenommenheit, beispielsweise in Bezug auf Wissen, Hygiene oder Verlässlichkeit von Mitarbeitenden aus anderen Ländern hat seinen Ursprung oft in unbewussten rassistischen Stereotypen.
Verallgemeinerungen ignorieren Einzigartigkeit
Vorurteile bewerten Menschen über grobe Denkschubladen und nicht als Person. Bei unserer neuen Kollegin aus der Türkei orientieren wir uns zunächst an Oberflächlichkeiten: ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Aussehen, ihrer Sprache. Unbeachtet bleiben ihre Vorlieben, Kenntnisse, Erfahrungen, Wesenszüge – also ihre Persönlichkeit.
Auswirkungen von Vorurteilen
Vorurteile können das Miteinander auch über eine längere Zusammenarbeit bestimmen. Mit einer negativen Einstellung gegenüber Menschen aus bestimmten Ländern oder eines gewissen Alters, wird es bei der gemeinsamen Arbeit immer wieder zu Konflikten kommen. Vorurteile, wie z.B. Unpünktlichkeit, können sich bei jeder Zeitüberschreitung immer wieder selbst bestätigen, während nicht wahrgenommen wird, dass die Person grundsätzlich die Verabredungen einhält. Menschen, die wenig oder gebrochen Deutsch sprechen, wird oft weniger zugetraut. Unbewusst bewerten wir mit der Ausdrucksfähigkeit auch die Kompetenz einer Person. Hält sich dieses Vorurteil gegenüber nichtmuttersprachlichen Kolleg:innen, fühlen sich diese abgewertet oder nicht ernst genommen. Betroffene von negativen Vorurteilen spüren Misstrauen und erleben oft Ungerechtigkeit und Diskriminierung.
Vorurteile können ungerecht und fehlerhaft sein. Sie können verletzen und ausgrenzen und damit einen Beziehungsaufbau und die Interaktion mit Menschen in unserem täglichen Umfeld erschweren. Auch wir selbst leiden dann unter diesen Fehlinterpretationen.
Strategien für ein Vorurteilsbewusstsein
Wir können nicht frei sein von Stereotypisierungen und Vorurteilen. Aber wir können lernen, uns dieser Mechanismen bewusst zu werden. Wir können lernen, dem ersten Eindruck nicht zu trauen und unsere Mitmenschen langfristig nicht nur über Aussehen, Sprache und Herkunft zu bewerten, sondern eine Offenheit für ihre komplexe Persönlichkeit zu entwickeln.
Folgende Strategien sind dafür hilfreich:
- Informieren – Prozesse und Mechanismen besser verstehen: Die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Diskriminierungsformen wie z.B. Rassismus trägt dazu bei, dass wir uns besser verstehen und unsere Einstellung aktiv mitsteuern können. Schon die Lektüre dieses Artikels ist ein guter Schritt.
- Aufmerksam sein – Verallgemeinerungen erkennen lernen: Bei anderen bemerkt man grobe Verallgemeinerungen immer leichter. Statt einzustimmen, sollten immer dann die Alarmglocken im Kopf läuten, wenn verallgemeinernd und abwertend über eine Menschengruppe (Araber, Frauen, Jugendliche, etc.) gesprochen wird.
- Identifizieren – Situationen erkennen, in denen Beurteilungsfehler wahrscheinlich sind: Zeitdruck, Multitasking und andere kognitive Belastungen sind Faktoren, die die bewusste Kontrolle von Vorurteilen erschweren. Grundsätzlich gilt: Je schneller wir entscheiden müssen, desto eher treffen wir unsere Entscheidungen und Urteile unbewusst. Für Bewerbungsgespräche sollte also genug Zeit eingeräumt werden und ein persönliches Gespräch vor oder nach einer stressigen Schicht kann das Miteinander enorm verbessern.
- Analysieren – Situationen und Wahrnehmungen nacharbeiten: Die bewusste Wahrnehmung von eigenen Vorurteilen im Nachgang einer Begegnung trainiert eine Sensibilität, die uns Vorurteile immer besser erkennen lässt. Welche Emotion löste die Situation bei mir aus? Wie habe ich beurteilt und entschieden? Ist ein Vorurteil erst einmal erkannt, kann bei nachfolgenden Begegnungen bewusst gegengesteuert werden. Kurzfristig können Vorurteile also unsere Begegnungen bestimmen, aber mit dieser Strategie erobern wir die Kontrolle zurück und können die Begegnungen langfristig bewusst gestalten.
- Quellen bestimmen – eigenen Mustern und Bildern auf die Spur kommen: Wenn sie beobachten, dass sie bestimmten Mitarbeiter:innen gegenüber angespannt oder abwertend reagieren, dann fragen sie sich: Woher kommt meine Einstellung? Welche Bilder und Informationen habe ich über die Herkunft dieses Menschen von meinen Eltern, aus Kinderbüchern, Medien usw. erhalten? Wenig über eine Gruppe zu wissen ist keine Schande, es erklärt allerdings auch, warum wir auf grob vereinfachte und oft negative Skizzen zurückgreifen.
- Eigenperspektive ergänzen – andere Blickwinkel und Feedback einholen: Holen Sie sich von Ihren Kolleg:innen Feedback zu Ihren persönlichen Einschätzungen von Mitarbeitenden. Andere Meinungen bringen uns echten Urteilen näher, denn sie ergänzen unsere eigenen Vorstellungen und Erfahrungen und ermöglichen damit eine breitere und vor allem bewusstere Beurteilungsgrundlage. Fragen wir allerdings Menschen, die ähnliche Hintergründe und Erfahrungen wie wir haben, laufen wir Gefahr, dass wir Vorurteile nicht abbauen, sondern reproduzieren. Die Kunst der Perspektiverweiterung besteht also darin, Menschen zu finden, die wirklich andere Erfahrungen und Perspektiven anbieten können.
- Kontakt – Bewusst in Verbindung treten: Die Kontakttheorie besagt, dass Vorurteile gegenüber einer Gruppe von Personen vermindert werden können, indem ein persönlicher Kontakt aufgebaut wird. Dieser Effekt kann durch die Begegnung in einem lockeren Umfeld oder das Anstreben eines gemeinsamen Zieles, beispielsweise bei der Teamarbeit, verstärkt werden. Gehen Sie daher bewusst auf Menschen zu, denen gegenüber Sie Vorbehalte haben.
- Individuation – auf die Einzigartigkeit jedes Menschen fokussieren: Seien Sie sich dessen bewusst, dass der erste Eindruck immer verzerrt ist. Kommen Sie daher mit Kolleg:innen ins Gespräch und versuchen Sie, aktiv mehr über die Persönlichkeit herauszufinden. Welche Leidenschaften und Hobbies hat die Person? Wo liegen Ihre persönlichen Stärken? Wie und wo ist sie aufgewachsen? Welche Orte und Menschen haben in ihrem Leben eine Rolle gespielt? Wie verbringt sie ihren Urlaub und ihre freie Zeit? Wofür schlägt ihr Herz?
- Gemeinsamkeiten – Verbindungen suchen und finden: Individuelle Informationen über einen Menschen sind die Grundlage, um Gemeinsamkeiten zu entdecken. Je mehr ich über einen Menschen erfahre, desto mehr gemeinsame Gruppenzugehörigkeiten (z.B. Fußballspielerin, Mutter, Single, Leseratte, Konzertgänger, Gläubiger, etc.) können mir bewusstwerden. Gemeinsamkeiten schaffen Gesprächsanlässe, die persönliche Beziehungen ermöglichen und Vorurteile sukzessive abbauen. Sie werden staunen, wie viele Gemeinsamkeiten sich mit zunächst fremden Menschen finden lassen!
Fazit
Vorurteile gehören grundsätzlich zu unserer Wahrnehmung. Vorurteile werden aber problematisch, wenn sie auf groben, falschen oder abwertenden Stereotypen beruhen. Ein Vorurteilsbewusstsein hilft uns, unbewusste Reaktionen des Gehirns ein Stück weit zu moderieren, pauschale, fehlerhafte oder abwertende Einstellungen zu hinterfragen und langfristig zu differenzierteren Urteilen zu kommen. Wenn wir unsere Mitarbeiter:innen als Persönlichkeiten kennen lernen und anerkennen, kann die Arbeit in einem internationalen Team sehr bereichernd sein!
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