Das Innere Team Modell für mehr Klarheit und Souveränität in der Kommunikation
Teil der vierteiligen Serie ‚Kulturübergreifende Kommunikation leicht gemacht‘: Praktische Modelle für kultursensible Kommunikation – von Anna Fuchs.“
Das Wichtigste in Kürze
- Mit dem Inneren Team Modell veranschaulichen wir die verschiedenen Tendenzen, Sichtweisen und Bedürfnisse, die Menschen in sich tragen.
- Innere Tendenzen stellen wir als „innere Stimmen“ dar – kleine Persönlichkeiten, die jeweils einen Namen und eine Botschaft vertreten.
- Es braucht eine kompetente innere Führung des „Oberhauptes“, um all diese Stimmen zu koordinieren und zu integrieren.
- Auf kulturelle Unterschiede angewandt, hilft das Modell uns, unsere kulturellen Prägungen besser zu verstehen und fördert das Verständnis für unterschiedliche Kommunikationsstile – ein Schlüssel zur kultursensiblen und erfolgreichen Kommunikation.
Manchmal verstehe ich ja nicht mal mich selbst…
Kennen Sie das auch? Ihnen passiert etwas, und innerlich reagieren Sie mit einem wahren Kuddelmuddel aus Gefühlen und Handlungsimpulsen!
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, eine Kollegin trifft eine Entscheidung im Alleingang, entscheidet also über Ihren Kopf hinweg. Vermutlich fühlen Sie sich jetzt nicht ernst genommen, und wahrscheinlich löst das in Ihnen vielschichtige Reaktionen aus: Gefühle wie Ärger, Körpersignale wie Schwitzen oder Magengrummeln und verschiedene Handlungsimpulse, die innerhalb von Millisekunden auftauchen. Ein wahres Gedankenkarrussell im Kopf: von „Da führe ich jetzt ein klärendes Gespräch“ über „Was mache ich bloß falsch, dass sie mich nicht ernst nimmt?“ bis hin zu „Der wasche ich jetzt mal den Kopf“ oder „Ach, so schlimm ist das ja nun auch nicht.“
Puh, jetzt ist es gar nicht so einfach, all diese inneren Reaktionen unter einen Hut zu bekommen – geschweige denn, ein klares Statement nach außen abzugeben. Denn um klar kommunizieren zu können, müssten Sie ja überhaupt erst einmal klären, wie Sie zu der Situation stehen und wie Sie reagieren wollen. Hier liegt der Ursprung des Inneren Team Modells nach Prof. Schulz von Thun.
Was ist das Innere Team Modell?
Mit dem Inneren Team Modell, entwickelt von Prof. Schulz von Thun, zeigen wir, dass bei jedem Menschen in jedem Moment „mehrere Seelen in der Brust wohnen“.
Das Modell ermöglicht uns:
- in uns selbst und andere „hineinzuschauen“,
- die dort wirkenden inneren Tendenzen und Dynamiken zu erkennen und kennenzulernen,
- bei Bedarf Veränderungen und persönliche Entwicklung anzustoßen.
Das Innere Team
Mit dem Inneren Team würden wir den gerade beschriebenen „zerstrittenen Haufen“ als innere Stimmen darstellen, von denen jede einen Namen erhält und eine Botschaft vertritt:
- Die innere Konfliktmoderatorin schlägt ein klärendes Gespräch vor: „Sprich das an und klär das!“
- Das innere „Gebrannte Kind“ hat Selbstzweifel und fragt: „Warum werde ich eigentlich immer wieder einfach so übergangen, ist ja nicht das erste Mal in meinem Leben.“
- Solche inneren Anteile wie das „Gebrannte Kind“ schicken gerne „innere Wächterinnen“ vor: Diese haben schon ihren Säbel zur Selbst(wert)verteidigung im Anschlag: „Der wasche ich jetzt mal den Kopf. Die wird noch Augen machen!“
- Die gutmütige, innere Kollegin reagiert dagegen verständnisvoll: „Ach, so schlimm ist das ja nun auch nicht. Bei dem Zeitdruck, den wir haben, mache ich auch nicht immer alles richtig.“
- Vielleicht wird sie unterstützt von einer „inneren Harmoniewächterin“, die keinen Konflikt mag oder Konflikte gar nicht aushalten kann und sie daher um jeden Preis vermeiden will: „Bloß keinen Streit!“
Neben diesen beispielhaften inneren Stimmen melden sich bei Ihnen vielleicht noch mehr – oder ganz andere „innere Wortmelder“. Je nachdem, wie Sie sozialisiert wurden, wie Ihre Persönlichkeit ist, was die Wahrheit der Situation hergibt und wie Ihre Tagesform gerade ist, werden diese Stimmen unterschiedlich laut beim Entscheidungsprozess zur Frage „Wie und was sage ich der Kollegin?“ mitdiskutieren und unterschiedlich stark nach außen sichtbar werden.
Zu gelungener Kommunikation gehört also nicht nur ein guter Kontakt zum Gegenüber, sondern auch das Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle. Innere Klarheit ist die Grundlage, um nach außen souverän aufzutreten – und wie im äußeren Leben gilt auch hier: Wo viele unterschiedliche Stimmen zusammenkommen, können Konflikte entstehen.
Teamdynamiken gelten außen und innen
Genau wie äußere Teams im Berufs- oder Privatleben sind auch unsere inneren Teams dynamisch und anpassungsfähig – aber auch konfliktanfällig.
Von ihrer Funktionsweise her ähneln innere Teams den äußeren Teams, die Sie aus Beruf oder Alltag kennen: Die Mitglieder können sich weiterentwickeln, neue Aufgaben übernehmen, Konflikte lösen und Allianzen bilden. Sie können gemeinsam daran arbeiten, nach innen ein positives Klima aufrechtzuerhalten und nach außen ihre Leistung stolz zu präsentieren.
Die Mitglieder können aber auch destruktiv kommunizieren, nach innen wie nach außen. Sie könnten sich streiten oder andere Stimmen nicht zu Wort kommen lassen. Einzelne Stimmen können vom Rest des Teams missachtet und „gemobbt“ werden. In solchen Fällen kann es sein, dass auch das Oberhaupt – unsere innere Führungskraft – ungeliebte innere Stimmen beschämt versteckt, damit sie ja nicht von außen erkannt werden können. Gerade Stimmen, die nicht den kulturellen Normen und Werten entsprechen, laufen Gefahr, als „schwarze Schafe“ innerlich verbannt zu werden.
Innere Teamkonflikte und ihre Auswirkungen
Innere Teamkonflikte können weitreichende Folgen haben. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie innerlich ignorierte Anteile reagieren, stellen Sie sich vor, wie sich ein Teammitglied verhalten könnte, das weder von Führungskraft noch von Kolleg:innen gehört, respektiert oder akzeptiert wird. Im besten Fall würde es zunächst versuchen, die Situation zu klären, dann jedoch zunehmend auf Konfrontation gehen, sich vielleicht krankschreiben lassen und schließlich das Team verlassen.
Innere Anteile können das Team jedoch nicht verlassen, und ihnen kann auch nicht gekündigt werden. Diese Anteile gehören einfach zu Ihnen, und sie schwanken nun zwischen Apathie und aufrührerischer Konfrontation. „Nicht gehörte Anteile benehmen sich unerhört“, sagt Schulz von Thun – sie zeigen ihren Unmut, zum Beispiel mit anhaltender Grübelei, Überempfindlichkeit, Zerrissenheit oder dem Gefühl von innerer Leere. Manchmal schlagen sie „auf den Magen“, gehen „an die Nieren“ oder äußern sich in Form von anderen psychosomatischen Symptomen. Kurz: Sie können richtig Druck machen.
Das restliche innere Team muss dann Strategien entwickeln, um den Druck aus dem schwelenden Unmut unter Kontrolle zu halten. Ein handfester innerer Konflikt entsteht, der für Betroffene oft gar nicht so einfach zu erkennen ist und gleichzeitig zu einem enormen Energieverlust führen kann – bis hin zu Depression und Burnout.
Das Oberhaupt – unsere innere Führungskraft
Es ist gut, wenn es eine kompetente innere Führungskraft gibt, die dafür sorgt, dass alle inneren Anteile akzeptiert und angehört werden. Sie schafft ein inneres Klima von Wertschätzung, Synergie und Inspiration.
Im Modell des Inneren Teams übernimmt das „Oberhaupt“ diese Rolle. Ihr Oberhaupt ist Ihr Ich-Bewusstsein – der Teil in Ihnen, der das innere Chaos von oben betrachten kann, die einzelnen Mitglieder als Teil von Ihnen erkennt und zwischen ihnen vermittelt. Diese innere Führung sollte in der Lage sein, Konflikte zu schlichten, die Teamentwicklung voranzutreiben und alle inneren Teammitglieder als wertvolle Teile des großen Ganzen zu verstehen.
Und wie im echten Leben gilt auch hier: Gute Führungsarbeit kann trainiert werden.
Lust bekommen, das mal auszuprobieren?
Suchen Sie sich ein Thema, das Ihnen gerade zu schaffen macht, und bringen Sie doch einmal die inneren Stimmen, die sich in Ihnen melden, zu Papier.
- Schritt 1: Starten Sie mit einem Kopf, zeichnen Sie darunter einen dicken Bauch und schreiben Sie Ihre Fragestellung neben den Kopf.
- Schritt 2: Fragen Sie sich: „Wenn ich an die Situation denke, welche Stimmen melden sich dann zu Wort?“ Fragen Sie weiter: „Wer meldet sich noch? Wer fehlt?“ – bis Sie das Gefühl haben, dass alle beisammen sind.
- Schritt 3: Schauen Sie sich Ihr Blatt in Ruhe an und überlegen Sie: „Was macht es mit mir, meine innere Wahrheit so aufgezeichnet zu sehen? Gibt es etwas, das ich gerne verändern würde? Wie könnte das gelingen?“
Kulturelle Unterschiede mit dem Inneren Team Modell dargestellt
Auf kultursensible Kommunikation angewendet, nutze ich das Innere Team Modell anders: Ich stelle Kulturdimensionen – wie „direkte vs. indirekte Kommunikation“, „Kollektivismus vs. Individualismus“ oder „egalitäres vs. hierarchisches Machtverständnis“ – als innere Teammitglieder dar.
Die meisten Menschen haben schon einmal von diesen Kulturdimensionen gehört, also von Kategorien, die entwickelt wurden, um kulturelle Unterschiede beschreibbar und vergleichbar zu machen. Was jedoch vielen nicht klar ist: In der Wissenschaft sind Kulturdimensionen weitestgehend verpönt. Sie gelten als wissenschaftlich schwer belegbar und klischeehaft – und würden lediglich aufgrund ihrer simplifizierenden und handhabbaren Natur überhaupt noch in der Praxis genutzt werden. Diese Kritik ist durchaus berechtigt.
Allerdings brauchen wir auch geeignete Denkwerkzeuge, um über kulturelle Unterschiede nachdenken und sprechen zu können. Denn wenn ich nichts über kulturelle Unterschiede weiß, kann ich andere Menschen nur an einer kulturellen Norm messen – meiner eigenen! Keine gute Alternative.
Hier kommt das Innere Team Modell ins Spiel. Mit diesem Modell lassen sich Kulturdimensionen auf eine realistische und zeitgemäße Weise vereinen. Es hilft dabei, kulturelle Unterschiede verständlich zu machen, eigene und fremde Eigenheiten klarer zu erkennen und ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln.
Kultur als Prägung unserer Persönlichkeit und Wahrnehmung
Dahinter steckt folgende Grundidee: Wenn Menschen in eine Kultur hineinwachsen, integrieren sie deren zentrale Elemente und Leitmotive wie eine Art innermenschliches Echo in Form von inneren Teammitgliedern. Kultur gibt nicht nur vor, welche Persönlichkeitsanteile wir nach außen zeigen dürfen, sondern auch, inwieweit wir sie innerlich zulassen, entwickeln und erleben können. Diese inneren Wortmelder soufflieren uns, wie wir die Welt verstehen und wie wir uns in ihr verhalten sollten. Zuwiderhandlungen bestrafen sie oft mit Minderwertigkeits-, Scham- oder Schuldgefühlen.
Mit „kulturtypischen Stammspielern“ wie der inneren Individualistin, dem inneren Hierarchiebewussten oder der inneren Frau Implizit können kulturelle Unterschiede nachvollziehbar und verständnisfördernd dargestellt werden.
Dabei gehe ich davon aus, dass jeder Mensch immer beide Ausprägungen einer Kulturdimension in sich trägt – je nachdem, in welchen Systemen wir aufwachsen, können diese aber sehr unterschiedlich ausgeprägt und gewichtet sein.
Wenn z. B. Ihr Innerer Individualist sehr stark ist, werden Sie sich als relativ unabhängige, eigenständige Persönlichkeit verstehen und vermutlich auch von anderen erwarten, dass sie für sich selbst einstehen und ihre Ziele und Wünsche aktiv verfolgen. Dann kommt Ihr Innerer Kollektivist vermutlich nicht ganz so oft zu Wort, aber er existiert dennoch in Ihrem inneren Team. Er versteht Menschen als Teil eines Systems wechselseitiger Abhängigkeiten und spielt beispielsweise in vielen asiatischen Kulturen eine zentrale Rolle.
Lust bekommen, das auch zu probieren?
Falls Sie Lust bekommen haben, Ihrer eigenen kulturellen Prägung auf die Schliche zu kommen, können Sie hier ein zweites Inneres Team zu Papier bringen. Suchen Sie sich zum Beispiel einen Konflikt, bei dem Sie vermuten, dass es sich um einen „interkulturellen Konflikt“ handelt. Vorsicht: ein interkultureller Konflikt ist ein Konflikt, in dem kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen – nicht etwa „nur“ weil die Konfliktpartnerinnen aus unterschiedlichen Kulturen stammen!
Zeichnen Sie, ähnlich wie oben, einmal auf, wer sich dabei meldet. Wo stehen die Stimmen, was sagen sie zu dem Thema? Wer ist besonders laut, wer wird zurückgehalten? Orientieren Sie sich dabei gerne an folgenden Tandems kulturtypischer Stammspieler:
- Ereigniszeitwächterin „Der Zeit die Zeit geben, die sie braucht.“ – Uhrzeitwächterin „Pünktlich wie ein Uhrwerk.“
- Innerer Kollektivist „Ich bin, weil ihr seid, und ihr seid, weil ich bin!“ – Innerer Individualist „Sei du selbst und werde, wer du bist!“
- Hierarchiebewusste „Chef bleibt Chef …“ – Egalitaristin „Gleiche Rechte und Pflichten für alle …“
- Sicherheitsbeauftragte „Vorsicht ist besser als Nachsicht.“ – Unsicherheitsexperte „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!“
- Frau Implizit „Lieber durch die Blume als unverblümt.“ – Frau Explizit „Ich meine, was ich sage, und sage, was ich meine!“
In meinem Buch Transkulturelle Herausforderungen meistern – Missverständnisse klären und Kompetenzen stärken habe ich jede dieser Stimmen ausführlich – und in Kombination mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat – vorgestellt.
Hier sei auch noch angemerkt, dass ich nicht davon ausgehe, dass Sie genau diese Stimmen in genau dieser Form in sich tragen. Die Vorschläge hier sind lediglich typologisch verallgemeinernd gemeint und dienen als Inspiration, Ihre eigenen, kulturtypischen Wortmelder zu entdecken.
Vorsicht: Diese Auseinandersetzung kann durchaus verständnisfördernd wirken! Denn indem Sie sich selbst besser kennenlernen, werden Sie auch andere besser verstehen. Ja, vielleicht entdecken Sie sogar, was Sie von anderen übernehmen und lernen können.
Das konsequente Leben einer kulturell offenen Haltung bedeutet, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu akzeptieren und Wege zu finden, beides konstruktiv zu nutzen, um neue Möglichkeiten zu eröffnen. Wie ich mit diesem Beitrag der vierteiligen Reihe Kulturübergreifende Kommunikation leicht gemacht hoffentlich zeigen konnte, kann das Innere Team Modell dabei helfen.
Fazit
Das Innere Team Modell hilft dabei, Impulse, Tendenzen und Persönlichkeitsanteile sichtbar und greifbar zu machen, indem es diese als innere Stimmen darstellt, die eine bestimmte Botschaft übermitteln und jeweils eine Funktion oder Perspektive vertreten.
Auf kultursensible Kommunikation angewendet, verdeutlicht das Innere Team Modell, dass Menschen zwar viele Gemeinsamkeiten teilen, kulturell jedoch unterschiedlich geprägt in Kontakt treten. Kultur wirkt dabei wie ein „innerer Kompass“, der vorgibt, welches Verhalten als angemessen und richtig empfunden wird. Zwar sind Kulturdimensionen ein Ansatz, um diese Unterschiede greifbar zu machen, jedoch neigen sie oft zu Vereinfachung und Stereotypisierung.
Mit dem Inneren Team Modell wird deutlich, dass Menschen immer beide Ausprägungen einer Kulturdimension in sich tragen. Diese werden jedoch je nach kulturellem Hintergrund sehr unterschiedlich gewichtet und ausgelebt. Das Modell ermöglicht es, sowohl die eigene kulturelle Prägung als auch fremde Perspektiven besser zu verstehen – und legt damit die Grundlage für ein respektvolles Miteinander, das kulturelle Unterschiede anerkennt und Gemeinsamkeiten stärkt.
Teile dieses Textes entstammen dem Buch „Transkulturelle Herausforderungen meistern“
Die Veröffentlichung der Textbausteine erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags sowie der Autorin Anna Fuchs.
Disclaimer: Wir machen darauf aufmerksam, dass unsere Inhalte (auch etwaige Rechtsbeiträge) lediglich dem unverbindlichen Informationszweck dienen und keine Rechtsberatung im eigentlichen Sinne darstellen. Der Inhalt dieser Informationen kann und soll eine individuelle und verbindliche Rechtsberatung, die auf Ihre spezifische Situation eingeht, nicht ersetzen. Insofern verstehen sich alle bereitgestellten Informationen ohne Gewähr auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.